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Timo Meiers Reise an den Mittelpunkt unseres Hockey-Universums

New Jersey Devils right wing Timo Meier reacts after scoring a goal against the Carolina Hurricanes during the first period of Game 3 of an NHL hockey Stanley Cup second-round playoff series, Sunday,  ...
Timo Meier im Einsatz für die New Jersey Devils.Bild: keystone
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Timo Meier oder die Reise an den vergessenen Mittelpunkt unseres Hockey-Universums

Den Kanton Appenzell Ausserrhoden finden wir heute auf unserer Hockey-Landkarte nicht mehr. Ein Irrtum. Herisau ist nicht nur dank Timo Meier ein Mittelpunkt unseres Hockey-Universums. 1983 und 2023 kommt der bestverdienende Stürmer unserer Geschichte aus dem Appenzellerland.
23.07.2023, 12:1424.07.2023, 14:37
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Wo treffen sich ein Chronist und ein NHL-Star und Dollarmillionär im heissesten Juli seit Menschengedenken zum Gespräch? Im Strandbad oder im Strassencafé? Nein. In einer Kabine. In der Kabine des Erstligisten SC Herisau im Sportzentrum zu Herisau. In diesem Raum hat alles begonnen. Hier war und ist Timo Meiers Heimat. Es riecht hier drin genauso nach Eishockey wie überall in der Welt. Auch bei den Devils drüben in Amerika. «Mein Grossvater hat mir einst jedes Jahr ein Saisonabo für den freien Eislauf bezahlt» erinnert sich Timo Meier. «Ich lebte im Dreieck, mit unserer Wohnung, der Eisbahn und der Schule als Eckpunkte.» Zur Schule und zur Eisbahn sind es etwa sieben Minuten zu Fuss.

Nun ist Timo Meier am Donnerstagnachmittag im Sommercamp, um den Kindern im Sportzentrum Herisau seine Hockeyleidenschaft weiterzugeben. Drei bis vier Tage steht er im Sommer an verschiedenen Standorten in der Ostschweiz auf dem Eis: mit Kindern oder mit Kollegen.

Wenn er mit den jüngsten Talenten aufs Eis geht, folgt oft noch eine Autogramm- und Fragestunde. Daran hat Timo Meier seine Freude. «Die Kids stellen wirklich kreative Fragen. Einer wollte wissen, wie gross meine Villa sei, oder ein anderer, welches Auto ich habe. Einen Lamborghini oder einen Cadillac?» Dann gebe es fast enttäuschte Gesichter, weil er «nur» einen Porsche fahre und keine Villa, sondern «bloss» eine 176 Quadratmeter grosse Wohnung in San José besitze. Er behält sie auch nach dem Umzug zu den Devils und vermietet sie an einen Spieler der San José Sharks. Die Frau von Joe Thornton kümmere sich vor Ort darum.

Timo Meier
24 Länderspiele, 11 Tore, 14 Assists, 25 Punkte
8. Oktober 1996 – 184 Zentimeter, 98 Kilo
2015 Nummer 9 im Draft (San José)
Karriere (als Junior): 2006 bis 2010 Herisau. – 2010 bis 2012 Pikes Oberthurgau. – 2012/13 Rapperswil/Jona Lakers. – 2013 bis 2016 Quebec Major Junior Hockey League (Halifax, Rouyn Noranda).
– 2016 San José, ab Ende Februar 2023 New Jersey.
Kanadischer Juniorenmeister 2016
WM-Silber 2018

Nach und nach tauchen wir tiefer ein in die wahre Hockeykultur. Zurück in die Zeit, als unser Hockey noch wild und bunt war. Marcel Kull kommt herein. Sein Name mag übers Hockey hinaus keine nationale Strahlkraft haben. Aber er hat Kultstatus. Einst war er bei Herisau in der höchsten Spielklasse der jüngste Sportchef der Liga und über die Jahre Jörg Eberles väterlicher Berater. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er in Davos als Goalie-Trainer und hat unter anderem Jonas Hiller zum NHL-Star und Leonardo Genoni zum WM-Finalisten ausgebildet. Er ist zudem der Mann, der hockeytechnisch wohl am meisten Einfluss auf Arno del Curto hatte. Im Alter von 70 Jahren ist er nun im Sommercamp mit den Kindern auf dem Eis. Lebenslänglich gelebte Hockeyleidenschaft.

Erinnerungen leben auf. An Herisaus kurze Zeit des nationalen Ruhmes. An die einzige Saison in der höchsten Liga (1997/98), die ein Beben auslöste, das die Hockeylandkarte nachhaltig verändern sollte: Weil Herisau im Aufstiegskampf GC sensationell bodigt, kommt es unter der Federführung von Walter Frey in Zürich zur Fusion mit dem ZSC. Die Appenzeller sind also die «Geburtshelfer» der ZSC Lions, heute eines der mächtigsten Hockeyunternehmen im Land.

Es sind auch Erinnerungen an die Zeiten, als unser Eishockey noch wild und bunt war. Wie Luganos grosser Vorsitzender Geo Mantegazza mit dem Privatjet nach Altenrhein kam, die Transfersumme für Jörg Eberle in bar mitbrachte und dann gleich nach Bern weitergeflogen sei, um mit SCB-Präsident Fred Bommes den Transfer von Riccardo Fuhrer ebenfalls mit Bargeld zu regeln. Wie der Kassier der Lokalbank lachend das viele Bargeld mit der Bemerkung entgegengenommen habe: «So, so, habt ihr transferiert.»

Ein Vergleich darf natürlich nicht fehlen. Ich erinnere mich, dass Jörg Eberle im Sommer 1982 von Herisau aus der NLB nach Lugano in die höchste Liga wechselte. Er war so gut, dass er 1982 als NLB-Stürmer ins WM-Team geholt wurde. Er unterschrieb in Lugano einen Einjahresvertrag für damals schier unglaubliche 80'000 Franken oder rund 6500 Franken im Monat. Jörg Eberle, Jahrgang 1962, ist der Timo Meier des 20. Jahrhunderts. Nicht ganz so gross und schwer (182 cm/90 kg) wie der NHL-Star (184 cm/98 kg). Aber der genau gleiche Spielertyp: ein robuster, kräftiger Brecher am Flügel, der unaufhaltsam durch die gegnerischen Reihen walzt und in seiner besten Zeit in Lugano in 36 Spielen 34 Tore erzwingt. Heute arbeitet er als Juniorentrainer in Ambri und kümmert sich ums Management des dortigen Frauenteams.

Nun sitzt hier in der gleichen Kabine mit Timo Meier der nächste Star aus der Herisauer Hockeykultur. Er hat soeben einen Vertrag bis 2031 unterschreiben, der ihm 8,8 Millionen Dollar pro Saison oder rund 650'000 Franken im Monat einbringt. Hundertmal mehr als Jörg Eberle in Lugano als damals bestverdienender Schweizer Profi der Geschichte kassiert. Damit ist Timo Meier der bestverdienende Schweizer Stürmer unserer Geschichte. Nur noch Nashvilles Verteidigungsminister Roman Josi verdient noch ein bisschen mehr. Marcel Kull muss lachen. «Ich habe alle Verträge für Jörg ausgehandelt. An den Betrag seines ersten Vertrages in Lugano erinnere ich mich nicht mehr so genau. Aber die Dimensionen dürften ungefähr stimmen …»

Timo Meier in der Kabine des SC Herisau.
Timo Meier in der Kabine des SC Herisau.Bild: watson

Da kann die Frage nicht ausbleiben, was denn so viel Geld im Leben eines Menschen verändert. Timo Meier sagt, eigentlich gar nichts. Er verbringt den Sommer in Herisau im Kreise seiner Familie, seiner Kollegen und seiner Freunde wie immer. Timo Meier ist in seiner Heimat der gleiche Timo Meier, der vor zehn Jahren ausgezogen ist, um die Welt zu erobern: freundlich, bescheiden, gut geerdet, Appenzeller. Nach wie vor ist er ein leidenschaftlicher Anhänger des FC St.Gallen und er freut sich schon auf den Schwägalp-Schwinget. Wird er in einer echten Appenzeller Sonntagstracht am Sägemehlrand stehen? «Nein, das nicht. Aber im Sennenhemd.»

Ob den alten Geschichten wird es Timo Meier sichtlich warm ums Herz. Auf einmal hält er inne und sinniert: «Als Herisau in der NLA spielte, war ich ja bloss ein Jahr alt …» Er hat Jahrgang 1996. Der SC Herisau pendelte in seiner bewegten Geschichte zwischen einer Saison in der NLA (1997/98) und der 2. Liga und taumelte schon durch einige Finanzkrisen. Aktuell spielen die Appenzeller in der 1. Liga mit Ambitionen nach oben. Timo Meier engagiert sich für seinen Verein, für seine Hockeykultur und sitzt inzwischen im Vorstand. Als Berater. Er hat ein Golfturnier organisiert (am 30. August), um Geld in die Nachwuchskasse zu bringen.

Immer wieder kommen an diesem Donnerstagnachmittag Spieler und Betreuer vorbei. Wer jetzt in die Kabine kommt und gefragt wird, wer denn hier ein NHL-Star und Dollarmillionär sei, wird nur auf Timo Meier tippen, weil er seine Baseballkappe verkehrt herum trägt, wie es in Amerika Mode ist.

Neben Episoden aus den Tiefen der lokalen Vergangenheit bietet natürlich auch die NHL reichlich Gesprächsstoff. Härte, «taff sein» ist stets ein beliebtes Thema. Im 7. Playoffspiel gegen die New York Rangers läuft Timo Meier in einen fürchterlichen Check von Rangers-Captain Jacob Trouba und muss das Eis mit gebrochenem Nasenbein verlassen. Die TV-Bilder sind eindeutig: ein illegaler Angriff gegen den Kopf. Gross wäre das Geschrei nach einem solchen Zwischenfall bei uns. Timo Meier aber sagt: «Ich war selber schuld. Ich habe mich einen Augenblick auf die Scheibe konzentriert und hatte den Kopf nicht oben. Deshalb habe ich Trouba zu spät gesehen.» Er hält inne und fährt fort: «Wäre ich in dieser Situation in der Rolle von Trouba gewesen, dann hätte ich den genau gleichen Check gemacht.» Timo Meier ist nicht nur einer der besten Torschützen der NHL und damit einer der besten der Welt. Er ist auch «taff» im besten Wortsinn.

Warum New Jersey? Warum gerade durchschnittlich 8,8 Millionen im Jahr? Timo Meier sagt: «Nach der Saison habe ich mir eine Auszeit genommen, um in aller Ruhe zu überlegen: Was ist das Beste für mich?» Es ist ein entscheidender Moment: Timo Meier ist so gut wie nie (letzte Saison 40 Tore) und erst 26 Jahre alt. Jetzt kann er den besten Vertrag herausholen. Aber der beste Vertrag hilft wenig, wenn er sich nicht wohlfühlt. Geld ist lediglich einer von mehreren Faktoren. «Für mich muss auch die sportliche Seite stimmen.»

Timo Meier sieht bei den New Jersey Devils die beste Perspektive für sich und seine Karriere.
Timo Meier sieht bei den New Jersey Devils die beste Perspektive für sich und seine Karriere.Bild: watson

Timo Meier hatte noch andere Optionen als eine Verlängerung bei den Devils: zum Beispiel die Carolina Hurricanes und die Las Vegas Golden Knights. Er entscheidet sich für New Jersey. Für ein junges, entwicklungsfähiges Team, das ein attraktives Lauf- und Tempospiel zelebriert. «Diese Philosophie gefällt mir.» Die Chancen, dass sich die Devils zu einem Stanley Cup-Siegerteam entwickeln, stehen gut.

Timo Meier wird eine andere Rolle übernehmen als zuvor während fast sieben Jahren in San José: Er gehört nun zu den erfahrenen Leitwölfen, die ein Team auf der langen Reise zu einem Stanley Cup braucht. Timo Meier sagt, er habe von den erfahrenen Spielern in San José so viel gelernt, das er jetzt weitergeben könne.

Ein weiteres Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers ist die Nähe zur Heimat. Das mag auf den ersten Blick erstaunen: Nordamerika ist Nordamerika. «Aber es macht für Besuche aus der Heimat einen Unterschied, ob ich an der West- oder an der Ostküste spiele.»

Die Devils sind in Newark, der grössten Stadt im Bundesstaat New Jersey, zu Hause. Dorthin gibt es Direktflüge von Zürich aus und Manhattan liegt gleich nebenan. Das kulturelle Angebot in New York fasziniere ihn sowieso. Kommt dazu, dass auch die Kabine ein Stück Heimat ist: Mit Verteidiger Jonas Siegenthaler (26), Captain Nico Hischier (24) und Torhüter Akira Schmid (23) stehen drei weitere Schweizer («Swiss Devils») bei New Jersey unter Vertrag. Sie spielen bei der Zukunftsplanung eine zentrale Rolle. Noch nie haben Schweizer ein Team in der NHL so stark geprägt.

Schliesslich und endlich geht es auch ums Geld. Timo Meiers Marktwert als 40-Tore-Stürmer ist gegeben. Das bedeutet: Es wäre für ihn gar nicht möglich gewesen, für viel weniger Geld bei den Devils zu verlängern. Die NHL-Spielergewerkschaft hätte eine erheblich tiefere Vertragssumme nicht zugelassen: Der Marktwert der Spieler mit Timo Meiers Kragenweite wäre sonst quer durch die NHL kleiner geworden. Die Saläre in der bis ins letzte Detail durchreglementierten NHL basieren primär auf vergleichbaren, messbaren Werten und dazu gehören nun mal Tore und Assists.

Im September wird Timo Meier ins NHL-Trainingscamp einrücken. Ein Appenzeller in Amerika oder ein Amerikaner in Appenzell? Einige Schweizer sind in der NHL «amerikanisiert» worden: Luca Sbisa lebt auch nach seiner Karriere in Nordamerika oder Roman Josi ist mit einer Amerikanerin verheiratet. Die Frage ist geklärt: Ein Appenzeller geht nach Amerika. Timo Meier wird nie «amerikanisiert» werden.

Die zehn bestverdienenden Schweizer Mannschaftssportler (Vertrags-Gesamtsumme).
1. Clint Capela (29), Basketball, Atlanta Hawks. Durchschnittlich 16 Millionen pro Saison, 1,3 Millionen im Monat.
2. Manuel Akanji (27), Fussball, Manchester. 10,6 Millionen pro Saison. 883'000 im Monat.
3. Roman Josi (33), Eishockey, Nashville Predators. Durchschnittlich 8,1 Millionen pro Saison, 675'000 im Monat.
4. Timo Meier (26), Eishockey, New Jersey Devils. Durchschnittlich 7,92 Millionen pro Saison, 666'000 im Monat.
5. Xherdan Shaqiri (31), Fussball, Chicago. 7,3 Millionen pro Saison Jahr, 608'000 im Monat.
6. Kevin Fiala (26), Eishockey, Los Angeles. Durchschnittlich 7,02 Millionen pro Saison, 585'000 im Monat.
7. Nico Hischier (26), Eishockey, New Jersey. Durchschnittlich 6,48 Millionen pro Saison, 540'000 im Monat.
8. Yann Sommer (34), Fussball, Bayern. 6 Millionen pro Saison, 500'000 im Monat.
9. Granit Xhaka (30), Fussball. 5,87 Millionen pro Saison, 489'000 im Monat.
10. Jonas Siegenthaler (25), Eishockey, New Jersey. 3,06 Millionen pro Saison, 255'000 im Monat.
Die Löhne werden nur in Nordamerika öffentlich ausgewiesen. Bei NHL-Mehrjahresverträgen ist das Salär nicht in jedem Fall jedes Jahr gleich. In der Aufstellung der Durchschnittslohn pro Saison.​
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quelle: keystone / ennio leanza
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7 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nummy33
23.07.2023 13:07registriert April 2022
sympathisch, dass er auch als NHL-Star mit Kinder aus seinem Heimatort aufs Eis geht
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7
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